Donnerstag, 23. Oktober 2008

„Die Begegnung mit dem Fremden lässt die Frage nach den eigenen Wurzeln wachsen.“
Zitat aus Philipp Hauenstein, Mittendrin und doch am Rand, S.18 (ISBN 3-87214-603-3)


Ich glaube, das ist wahr. Seit etwa einem Jahr leben wir weit außerhalb des erzgebirgischen Sprachraums. Die Menschen in unserer Umgebung sprechen vor allem Shitzua. Viele haben dann irgendwann in der Schule Portugiesisch gelernt. Manche der jüngeren Leute können mehr oder weniger gut Englisch. Ja, und einige sprechen auch Deutsch! Um genau zu sein: Ostdeutsch, manche sogar ein wenig sächsisch. Das haben sie gelernt, als sie einige Jahre in der DDR als so genannte Vertragsarbeiter lebten. Den erzgebirgischen Dialekt habe ich hier allerdings noch nicht vernommen.


Außer im August 2008. Da hatten wir Besuch aus dem Erzgebirge. Unser Sohn, der seit fast zehn Jahren in Hessen lebt, begleitete seine Großmutter, die seit 73 Jahren – also ihr ganzes bisheriges Leben – in Schönheide im Westerzgebirge verbracht hat. Für mich ist das nun der Anlass, mich endlich mal intensiver mit meiner Mutter- Sprache im wahren Wortsinn zu beschäftigen.

Mal sehen, was dabei rauskommt...

Vielleicht wollen andere Dialektinteressierte ja mithelfen, den Schönheiten, Eigenheiten und Wurzeln unserer heimatlichen Ausdrucksweise auf die Spur zu kommen.

Schönheide – geographisch gesehen der westlichste ort im Erzgebirge. Von Schönheiderhammer m Tal der Mulde zieht sich der Hauptort ein Seitental hinauf bis in den Ascherwinkel, der schon ans Vogtland grenzt. Ob es in Schönheiderhammer vielleicht auch nachweisbare sprachliche Einflüsse aus der nahegelegenen Bergstadt Eibenstock gibt, im Ascherwinkel dagegen aus dem vogtländischen Nachbarort Schnarrtanne?

Dann die Schreibweise:

Gibt es eigentlich feste orthographische Regeln, nach denen man das Westerzgebirgische, wie es in Schönheide und Umgebung gesprochen wird, niederschreiben kann?

Und die Ausdrücke:

In diesem Blog will ich typische Ausdrücke und Formulierungen nicht nur sammeln. Das allein schon wäre interessant und lohnenswert. Aber noch interessanter scheint mir die etymologische Frage: Wo kommt ein Ausdruck her? Welche sprachliche Wurzeln und welche Verwandtschaft weist er auf?

Natürlich werden viele der aufgeführten Worte und Wendungen nicht nur in und um Schönheide gebraucht, sondern sind erzgebirgisches Allgemeingut. Aber sie werden eben auch in dieser Gegend gebraucht, und darauf kommt es mir an.

Wer an solchen Fragen Freude findet und, vor allem, wer sachdienliche Hinweise geben kann, kann gerne die vorhandenen Blogeinträge kommentieren oder sich über folgende E-Mail-Adresse mit mir in Verbindung setzen:

haamitsprooch@googlemail.com

Aber bitte nicht ärgern, wenn ich nicht sofort antworte. Schließlich bin ich aus einem anderen Grund nach Mosambik gekommen, als mich mit mir selber und meinen Wurzeln zu beschäftigen. Das hier könnte vielleicht ein Hobby werden, mal sehen...

Ich fange einfach mal mit einigen Ausdrücken an, die mir so eingefallen sind:

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Aardäppeln – Erdäpfel, Kartoffeln

ahgereimelt – mit Rauhreif bedeckt

aleime – (anleimen) sich betrinken

allmeitog – immer (alle meine Tage)

aplätzn – mit jemanden schimpfen, aber auch derb: für eine Frau schwängern

Arfel – ein Arm voll Heu, z.B.

bänln – schnell laufen

berzen (aus-, naus-) – ausbrechen, hinausrennen, -eilen

dahln (rüm-) - trödeln (herum trödeln) aber auch: sich Musestunden gönnen

dalfern (rüm-, na-) – meist abwertend gemeint: Sachen berühren, die man eigentlich nicht berühren sollte

dämpern (rüm-, ver-) – sich die Zeit vertreiben, manchmal auch abwertend im Sinne von: Zeit totschlagen

Delmis / Delmes -

Draasch – (seinen Draasch mit etwas haben) - viel Zeit und Energie für eine Sache verwenden, aber nicht zu verwechseln mit ‚draschen’

draschen – stark regnen

(ver-)dräschen – (ver-) prügeln, ernsthaft raufen

Durschen – Zuckerrüben

Eierbrick – Brücke über die Bimmelbahnstrecke Ascherwinkel – Wilzschhaus in der Nähe des Stausees, benannt nach durch die Brückenpfeiler entstehenden ovalen Formen

eimätschen – etwas das erste Mal gebrauchen, eine neue Packung anreißen

emende / mende – eventuell, vielleicht

Faunz – Ohrfeige

fei – nicht wörtlich zu übersetzen, Verstärkungs-, Unterstreichungspartikel im Sinne von ‚wirklich’ – „Dös was iech fei aah net!“ -
‚Das weiß ich wirklich auch nicht!’

gatern (na-) – meist gebraucht, wenn Erwachsene in Babysprache ein Kleinkind zum Lachen bringen wollen

Gesudne – (Gesottene) Pellkartoffeln

Graatschr / graatschn (na-) – Kratzer (z.B. am Auto, auf der Schallplatte), verkratzen

Guhle – Name des Weges zwischen Schönheide Paradies und Schwarzwinkel – scheint mir von Huhle/Hohlweg zu kommen, obwohl die Guhle kein Hohlweg ist.

Gummifuffzcher – Umschreibung für ein Kondom Marke Mondos, aus der Zeit als noch 50 DDR-Pfennige dafür zu bezahlen waren

Gusch – meist derb für Mund, in der Verkleinerungsform (Guschl) auch verniedlichend gemeint; auf de Gusch fliegn – stürzen; a gruße Gusch ham – vorlaut sein; Mach de Gusch auf! – Sag was!

Hacht – Habicht, aber auch im Sinne von betrunken sein (Där hot `n ganz schenn Hacht!)

net von der Hack gieh –sich nicht abweisen lassen, aufdringlich sein,

Handschisch - Handschuh

(sich) hiebratschen – sich irgendwo platzgreifend niederlassen

(sich) hiepfarrn – sich (provokativ) niederlassen und sich nicht vertreiben lassen

Hitsch - Fußbank

hürtzen – schnell laufen, hastig etwas erledigen, manchmal auch im Sinne von konfus sein

hutzn gieh – typisch alterzgebirgische Art des abendlichen Nachbarschaftsbesuchs, oft wurde dabei nebenher Heimarbeit erledigt

itze - jetzt

kampeln – raufen, im eher scherzhaft-spielerischen Sinn, vgl. (ver-) dräschen

Karzr/Kaarzr/Kraatzr - Arrest

Knock – Bezeichnung für den Aussichtspunkt, der die Dorfmitte von Schönheide überragt

Krafaten (machen) - Faxen machen, aber manchmal auch für: sich dumm oder ungeschickt anstellen (?)

Kragel – abwertend für etwas Misslungenes, manchmal auch abwertend für unangenehmen Zeitgenossen

Kragesplatten – aus Holz hergestellte Hartfaserplatten – hergeleitet vom ehemaligen Eigentümer der entsprechenden Fabrik im Muldental nahe Schönheider Hammer

krahlen – derb kratzen, auch: sich verletzen

krämpeln (auf-, üm-, rüm-) aufkrämpeln - im Sinne von Ärmel aufkrempeln, sich für etwas einsetzen; ümkrämpeln – etwas verändern, neu organisieren; rümkrämpeln – sich mit etwas beschäftigen, mit einer Tätigkeit über Wasser halten

aufn Kranz gieh – jemanden bestürmen, zu etwas drängen

Krutscher – Begriff aus DDR-Zeit(?) für einen kleinen selbständigen Unternehmer, meist aus der Pinsel- und Bürstenbranche

Kuhng / Kuhngschroong – Kuchen / Holzgestell, in die Bretter mit dem fertigen Kuchen eingeschoben wurden, in Bäckereien oder bei Familienfesten verwendet

laatschen – abwertend für zu Fuß gehen, auch für schlurfen

Läddr - Leiter

Laarf

latschen – abwertend für erzählen, reden; auch: dummes Zeug erzählen; in der Schule: schwatzen

Latschgusch – abwertend für einen Menschen, der viel (dummes Zeug) redet

Lumich – scherzhaft für Lausbub, aber auch abwertend für Gauner

mährn – vgl. latschen – abwertend für (dummes Zeug) erzählen;

Mährgusch, Mährsack – vgl. Latschgusch - abwertend für Menschen, die viel (dummes Zeug) reden

mährn (aus-, rüm-) – vgl. dahln – trödeln, ausmährn – aufhören zu trödeln: „Mähr dich endlich aus!“

Meelach - Mejloch geht evtl. auf einen frz. General namens Melaque o.ä. zurück, der sich (während der napoleonischen Kriege?) sehr schlecht gegenüber der Bevölkerung benommen haben soll... Oder aber das Wort stammt doch aus dem Rotwelschen/Jiddischen. Dort steht die Wurzel ‚malach’ oder ‚mäläch’ für König. – Gibt das Sinn?

Mungätel – eine kleine Menge, eine Brise Salz z.B.

nastochern – bildliche Umschreibung für neugierige oder unbequeme Fragen stellen

neegeln – vor Kälte schmerzen, z.B. die Finger

neidrei / dreinei (machen) – durcheinander (machen), geistig verwirrt sein

neiharken – immer wieder in dieselbe Kerbe hauen

Nischel / Nüschel – derb für Kopf, entwickelte sich im Sächsischen zur Bezeichnung für das Karl-Marx-Monument in K.-M.-Stadt, die Straß, in der es heute noch steht, wurde damit zur ‚Nischelgasse’.

Odel / odeln – Jauche, das Feld mit Jauche düngen – Ob das in irgendeiner Weise mit dem französischen ‚Odeur’ (Duft) zusammenhängt?

(sich) odricken – 1. abdrücken, z.B. beim Gewehr; 2. sich um den Hals fallen; 3. sich abdrücken im Sinne von verdrücken, vor Arbeit drücken

oflaadeln – etwas schnell und nicht sehr gründlich waschen

sich onamme lossen – sich abnehmen lassen, fotografieren lassen

Owätscherle - ????

Pfannaardäppeln – „Pfannenerdäpfel“, Bratkartoffeln – die Kartoffeln wurden in eine Pfanne geschnitten, dort auf dem Herd gebraten und oft gleich von allen aus derselben Pfanne gegessen

Pfoomei - ???

Plaa(t)schen

plätten / Plätte / Plättlo(c)k – bügeln, Bügeleisen, Plättlok(?) evtl. auf Grund von Form und Gewicht, der alten Bügeleisen mit einer Lokomotive verglichen?

Plootz / Pleetz

Potschof

pranzen – angeben, prahlen

rammeln (rüm-, hie ~) – sich schnell bewegen, viel arbeiten, sich beeilen, auch: zu kämpfen haben...
Im Gegensatz zu den meisten anderen Dialekten hat „rammeln“ im Blick auf menschliche Tätigkeit keinen obszönen Anklang, im Blick auf Hasen dann schon eher...

ruscheln – rodeln, Schlitten fahren

säbeln – schnell laufen, rennen

Sächr - Uhr

Saachwamm(e)s

Schindanger

Schnapper – Speckkartoffeln, hhhmmm, schmecken gut!

schurn – kann man sowohl Schafe als auch Schnee: Schafe scheren, Schnee räumen; in beiden Fällen geht es darum, was zu viel ist zu beseitigen

zum Schur, jmdn. etwas zum Schur tun – jmdn. ärgern oder schaden

simbeliern - nachdenken

Sperken - Spatzen

Staatsbus – im Gegensatz zum Ortsverkehr, der in Sch’de selbst zu DDR-Zeiten durch die private Firma Meichsner (Meichsner-Bus) bestritten wurde, fuhren auf den Fernstrecken Busse des staatseigenen VEB Kraftverkehr

Schtiesch, schmoole – schmale Steige, Treppe

tschinnern - schlittern

naus dr Walt gieh – ins Freie gehen, das Haus verlassen

wichsen / Wichsbürscht – Schuhe polieren, Bürste zum Schuhe polieren

Winkel – Bezeichnung für Ortsteil: Ascher-, Heinz-, Schwarzwinkel

würng (rüm-, nei-, ...) – würgen, sich mühen, anstrengen; rümwürng: sich erfolglos mühen(?); neiwürng: sich zwingen, etwas zu essen

zäckeln / zeckeln – sich gegenseitig ärgern

zammläppern – mit der Zeit kommt aus kleinen Mengen etwas zusammen; „do läppert sich scho wos zamm“

zammnammisch – (seine Sachen) zusammenhaltend; sparsam, auch geizig

zengst nannerhie – (an) etwas entlang, z.B. Haus oder Straße

zindeln / zündeln – mit Feuer spielen

Zuckerstaanel – Zuckersteinchen, Bonbon

Zumpel – abwertend: dummer Kerl

zusseln – an den Haaren ziehen, dass es weh tut, z.B. beim Kämmen verfitzter Haare